Das IKI ist ein An-Institut der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

 

 

Publikationen

Neuerscheinung

Die Dissertation von Gina  Emerson, Audience Experience and Contemporary Classical Music - Negotiating the Experimental and the Accessible in a High Art Subculture

ist im Rutledge Verlag erschienen.

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Neuerscheinung in der Schriftenreihe des IKI

Die Dissertation von Jenny Svensson, Die Kunst, Kultur (nicht nur) zu messen: Evaluation im Theater- und Kultubetrieb ist im LIT Verlag erschienen.

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Kultur-Kommunikation
im Wettbewerb

Die Publikation zum Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation Rudolf Stilcken ist im KMM-Verlag in Kooperation mit dem IKI erschienen.

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Prof. Dr. Reinhard D. Flender ist seit 1999 Direktor des Instituts für kulturelle Innovationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Er lehrte dort von 2011 - 2022 als Professor für Kulturwissenschaft.

 

Was versteht man unter Innovation im Kulturbereich?

 

Nicht jedes neue, zeitgenössische Kunstwerk ist eine Innovation, sondern eine neue künstlerische Kreation, die in den Prozess der Rezeption übergeht. Erst wenn es zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Resonanz und Rezeption kommt, können wir von Innovation sprechen. Die kulturelle Innovationsforschung unterscheidet grundsätzlich zwischen Invention und Innovation. Diese Unterscheidung war dem Begründer der ökonomischen Innovationsforschung Joseph Schumpeter wichtig, denn auch in der Wirtschaft ist eine neue Erfindung, die als Patent angemeldet wird, noch keine Innovation. Der Begriff wird heute inflationär gebraucht und insbesondere im Kulturbereich werden Invention und Innovation nicht klar voneinander differenziert. In der Volkswirtschaft bedeutet Innovation die „schöpferische Zerstörung“ einer alten Technologie durch eine neue oder die Einführung einer neuen profitableren industriellen Produktionsmethode.

 

In der Kunst basieren Innovationen auf der Erfindung neuer ästhetischer Kommunikationssysteme. Wenn eine kulturelle Innovation den Nerv der Zeit trifft, kann sie erlangt nach einer transitorischen Phase in wenigen Jahrzehnten eine große gesellschaftliche Resonanz erlangen. Als Beispiel könnte man die Barockästhetik, den Klassizismus oder die Bauhaus Ästhetik nennen. Im Gegensatz zu technologischen Innovationen kann eine kulturelle Innovation aber auch eine jahrhundertelange Inkubationszeit benötigen, bis sie zum Mainstream wird. Interessanterweise trifft das insbesondere in der Musikgeschichte zu, denn die Erfindung der Mehrstimmigkeit in Verbindung mit der neuen Kulturtechnik der schriftlichen Notation war eine revolutionäre systemische Innovation. Die Komponisten der ars nova wurden aber nur von einer verschwindend kleinen Schicht der Gesellschaft rezipiert. Das gleiche Phänomen erleben wir mit der Ästhetik atonaler Musik. Sie ist die Grundlage für eine bis heute unüberschaubare Menge neuer Kompositionen, die aber bis heute vorwiegend von Experten rezipiert wird.

 

 

Wie entstehen Innovationen im Kulturbereich?

 

Kulturelle Innovationen entstehen durch Neuheiten, die in Form von Kunstwerken eine nachhaltige gesellschaftliche Resonanz und Rezeption erzielen. Dabei wird die Rezeptionsgeschichte von Kunst durch komplexe Interaktionen von gesellschaftlichen, institutionellen und technologischen Faktoren bestimmt.

 

Kulturelle Innovationen entstehen insbesondere an der Schnittstelle zwischen technologischer und ästhetischer Innovation. Beide bedingen sich gegenseitig. Die Erfindung innovativer Reproduktionstechnologien wie Buchdruck, Photographie, Ton- und Bildtonträger ist untrennbar mit der Entwicklung neuer künstlerischer Ausdrucksformen verbunden. So musste sich die naturgetreue gegenständliche Malerei nach der Erfindung der Photographie neu erfinden. Ebenso führte die Erfindung der Schellackplatte zur weltweiten Verbreitung improvisierter Musik wie Blues, Jazz, Rock oder Pop etc. Aber auch die Erfindung elektronischer Musikinstrumente wie die E-Gitarre oder der Synthesizer ermöglichte eine neue Klangästhetik in E- und U-Musik. Dasselbe gilt für den Film und Multimedia-Kunstformen. Digitalisierung und künstliche Intelligenz haben den Resonanzraum kultureller Produktion und Rezeption ins Unüberschaubare erweitert. Damit verstärkt sich die Abhängigkeit von algorithmischen Selektionsprozessen.

 

 

Was ist das Besondere an kulturellen Innovationen?

 

Unsere Gesellschaft hat sich seit dem 16. Jh entschieden, kulturelle Innovationen im kulturellen Gedächtnis aufzubewahren und allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich zu machen. Jede Phase ästhetischer Innovationen wird in den Museen, Theatern und Konzert- und Opernhäusern als Teil des kulturellen Erbes gepflegt. Dafür werden erhebliche Summen staatlicher und privater Gelder aufgewendet, denn hat ein Kunstwerk den gesellschaftlichen Status eines meritorischen Gutes erreicht, genießt es einen besonderen Schutz. Das hat besondere Auswirkungen auf die Innovationsdynamik unserer Kultur. Wenn man sich die Summen anschaut, die für die Bewahrung unseres immensen kulturellen Erbes aufgewendet werden, dann übersteigen sie bei Weitem das Investitionsvolumen für kulturelle Innovationen. Die Gründung von Kreativgesellschaften, die zum Teil von Mitteln aus der Wirtschaftsförderung finanziert werden, bietet neuerdings Möglichkeiten einen „Spill Over“ und Synergieeffekt zwischen Kreativwirtschaft, freier Szene und etablierten Kulturbetrieben zu erzeugen.

 

Die „freie Szene“, d.h. Künstlerkollektive, Ensembles für Neue Musik, Freie Tanz- und Theatergruppen sind das zentrale Laboratorium für künstlerische Inventionen, die das Potential haben, kulturelle Innovation zu initiieren. Eine Studie des Instituts für kulturelle Innovationsforschung (Flender 2005) errechnete einen Output von 1,7 Uraufführungen pro Tag, die von Freien Ensembles für Neue Musik in Deutschland in Auftrag gegeben wurden. Die freie Szene erhält aber nur einen Bruchteil der Unterstützung, die für Opernhäuser oder Symphonieorchester aufgewendet werden.

 

 

Welche Rolle spielt Innovation im Kulturbereich?

 

Erst mit der Erkenntnis, dass in den großen Metropolen der Welt der Kreativsektor in den letzten Jahrzehnten ständig gewachsen ist, richtet sich die Aufmerksamkeit der Politiker auf das Entwicklungspotential der Kreativwirtschaft. Anstoß zu einem Umdenken in Bezug auf staatliche Investitionsprogramme kam von dem Stadtökonomen Richard Florida, der in seinem Buch „The rise of the creative class“ die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kreativclustern erkannte. Das von ihm vorgelegte Zahlenwerk fußt auf einem weit gefassten Begriff des „Kreativen“. Die ökonomischen Wachstumsraten werden von der Werbewirtschaft, der Architektur, der Gameindustrie, sowie von den Gewinnern der Digitalisierung wie Streaming Plattformen, Social Media und Suchmaschinen erzeugt. Der Beitrag der „schönen Künste“ bleibt eher marginal. Die im Grundgesetz verankerte „Freiheit der Kunst“ verbürgt jedoch der rein künstlerischen Kreativität einen Schutz, der nicht dem Diktat der Wirtschaftlichkeit unterworfen werden darf. Dabei stellte schon Florida fest, dass der „spill over“ Effekt, der von den „schönen Künsten“ auf die Werbewirtschaft überspringt, substantiell ist, aber kaum berechnet werden kann. Die Märkte der Kreativbranche sind „markets of uncertainty“. Der Erfolg eines neuen Kunstwerkes, eines neuen Films oder einer Musikveröffentlichung ist nicht prognostizierbar. Um in diesem schwierigen ökonomischen Umfeld kulturelle Innovation zu ermöglichen, brauchen die Künstlerinnen und Künstler nachhaltige Förderung, die sich insbesondere auf die Diffusion von Innovation konzentriert. Ansonsten bleibt das Neue eine bloße private Erfindung ohne gesellschaftliche Relevanz.  

 

Wie innovativ ist der Kulturbereich?

 

Die Erfolgschancen von Innovationsprozessen im Kulturbereich beruhen auf der hohen intrinsischen Motivation der Kreativen.  Dazu gehört auch die Kompetenzen eines cultural entrepreneurship. Entweder besitzt ein Künstler selber diese Kompetenzen oder es kommt zu einer Doppelspitze. Je komplexer die Innovationszyklen werden, umso mehr führt kulturelles Innovationsmanagement zum Ziel. Dazu bedarf es einer offenen Kulturszene, die sich nicht in selbstreferentiellen Expertenzirkeln abschottet. Dazu gehört auch eine interkulturelle Öffnung wie sie im Afrika Programm „Turn“ der Bundeskulturstiftung angestoßen wurde. Bei der Förderung kultureller Innovation darf der ökonomische Faktor nicht im Vordergrund stehen, aber die notwendige gesellschaftliche Resonanz sollte durch innovative Förderstrukturen unterstützt werden. Das von der Bundeskulturstiftung initiierte Musikvermittlungsprogramm „Netzwerk Neue Musik“ ist hierfür ein gutes Beispiel.

 

Die Ästhetik der Moderne hat im 20. Jh. einen enormen Innovationsschub bewirkt, dessen Folgen bis heute noch nicht abgeklungen sind. Die verschiedenen Kunstsparten sind hier unterschiedlich aufgestellt. In einigen Sparten wie der bildenden Kunst oder dem modernen Tanz haben sich die ästhetischen Innovationen der Moderne durchgesetzt. Hier befinden wir uns in der Phase inkrementeller Innovationen, während in anderen Kunstsparten wie der klassischen Musik ein Innovationsstau fortbesteht.

 

 

Was ist kulturelle Innovationsforschung?

 

Im Vergleich zur volkswirtschaftlichen Innovationsforschung ist die kulturelle Innovationsforschung eine junge Disziplin, die die Komplexität kultureller Innovationsprozesse zwischen ästhetischer, technologischer, ökonomischer sowie institutioneller Innovation interdisziplinär erforscht.